In den vergangenen Wochen sind zehntausende Abmahnungen an Webseitenbetreiber gegangen. Maßgeblich kamen hier zwei Abmahnanwälte zum Einsatz. Wer sind diese Anwälte, wer sind die Abmahner, was ist dran an der Sache mit dem DSGVO Verstoß wegen der Einbindung von google-fonts und warum sind die Abmahnungen nicht rechtskräftig? Wir nehmen einen der Abmahner genauer unter die Lupe.
Zunächst eines vorweg, wenn Sie eine solche Abmahnung erhalten haben, dann hat diese in der Sache an sich Hand und Fuß, so die Abmahnung wahrheitsgetreu bei Ihnen eingegangen ist. Ja, die Einbindung von google-fonts in Ihrer Webseite, so die Fonts von Google abgeholt werden, ist ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung DSGVO. Doch die Abmahnungen selbst sind oft so stümperhaft formuliert, dass Sie beste Chancen haben, sie abzublocken. Doch dafür brauchen Sie wieder einen Anwalt, müssen Geld bezahlen und Zeit investieren. Ich habe mir daher einen der beiden Abmahnanwälte einmal näher angeschaut. Und dabei handelt es sich um den Anwalt Kilian Lenard aus Berlin, welcher für und im Auftrag eines Martin Ismail, Im Dorfe 40, 30453 Hannover tausende Abmahnungen verschickt.
Wer ist Kilian Lenard?
Lenard gründete im Jahr 2000 im Alter von 31 Jahren (sein Geburtstag ist der 10.04.1969) das “European Net Economy Forum” (ENEF), ein Interessenverband für die elektronische Wirtschaft, über den google heute nichts mehr weiß. Es scheint Lenard mit dem platzen der dot-com Blase aus den Schuhen gehoben zu haben, schaut man sich heute seine Residenz in der Chausseestraße 130, 10115 Berlin an. Die Fenster seiner “Kanzlei” halten zur Erinnerung noch den Schmutz der vergangenen 22 Jahre fest verankert. Geld ist offensichtlich auch nicht viel geblieben und seine Kinder, deren Kinderwagen Lenard noch im Jahr 2000 in seinen Kombi packte (Interview Welt), dürften ebenfalls das Weite gesucht haben. Lenard machte den grandiosen Fehler, auch mich abzumahnen. Doch obwohl mein Name weltweit einmalig ist, hat er sich getraut, mich über meine Firma wegen des Verstoßes der DSGVO abzumahnen. Lenards Problem: Ich bin IT Experte, Journalist, Menschenrechtsaktivist. Ich tue viele Dinge, sehr viele Dinge, weil es einfach viel zu viel zu tun gibt auf dieser Welt und ich das Gefühl habe, es wird nicht getan. Und ich bin immer da, wo man mich nicht vermutet. Heute war ich vollkommen überraschend in Berlin. Nein, ich bin nicht extra wegen Lenard nach Berlin gefahren. Ich kam zufällig des Weges und brauchte nur einen Umweg von fünf Kilometern. Ja, ich wäre ein genialer Stalker, doch dazu reicht meine Zeit nun wirklich nicht mehr.
Bürozeiten: Montags bis Sonntags
Lenard gibt im Internet an, seine Bürozeiten sind an sieben Tagen in der Woche. Und so nutze ich den Sonntag und schaue in der Chausseestraße 130 vorbei. Denn leider reagieren weder Lenard noch Martin Ismail auf meine Kontaktversuche zwecks einer Einigung. Ich muss vorweg nehmen, ich kenne Berlin. Berlin ist dreckig und man legt nicht sonderlich viel Wert auf Äußerlichkeiten. Doch was mich bei der Kanzlei Lenard erwartet, haut mich schlicht um. Fast könnte man meinen, eine Frau Professor Doktor als direkte Nachbarin, werte das ganze auf, doch leider weit gefehlt. Prof. Dr.med.vet.habil.Regine Ribbeck war zwischen 1968 und 1990 in einem Bereich für Parasiten tätig. Damit müsste sie mindestens 1945 oder noch früher geboren sein. Sicher wird sie im Haus ihre Seniorenwohnung nutzen. Ein blank poliertes Messingschild einer Anwaltskanzlei suche ich vergeblich. Dafür finde ich ein verknicktes Klingelschild aus dem Labelprinter mit der Aufschrift “RA Lenard”. Ich muss zugeben, selbst damit hätte ich fast nicht gerechnet. Bemerkenswert der Schreibfehler der Straße auf der Schellenplatte, der mit Bleistift berichtigt wurde. Mehrere Ein-Euro Firmen sind hier registriert. Man sucht diese Firmen auf der Schellenplatte vergeblich. Es sind alles Firmen, die sich mit Internet-of-things und Cryptowährungen beschäftigen. Der Verdacht fällt auch hier auf den angeblichen IT-Fachanwalt Lenard. Die Firmen wurden Ende 2021 gegründet. Lenard wirbt im Internet, Sonntags zwischen 10:00 und 17:00 in der Kanzlei zu sein. Es ist Sonntag. Es ist gegen 16:00 Uhr. Ich klingle. Nichts passiert.
Man könnte vermuten, RA Lenard existiert gar nicht, doch laut Bundesrechtsanwaltskammer und Auskunft der Berliner Rechtsanwaltskammer ist Lenard tatsächlich Kammermitglied und in der Chausseestr. 130 aktiv. Bekanntheit hat Lenard mit seiner Abmahnwelle allemal erreicht. Laut Focus, der am 1. Oktober 2022 über die Abmahnwelle berichtete, ist diese Abmahnwelle die größte je dagewesene Abmahnwelle in Deutschland. Allerdings muss man klar sagen, viele Informationen um diese Abmahnwelle im Internet stimmen nicht oder nicht ganz. So erklärt ein Rechtsanwalt in einem youtube-video, dass der Klient des Anwalts, nämlich Martin Ismail, gar nicht existiere und der Anwalt die Abmahnungen aus eigenem Antrieb verschickt. Das kann ausgeschlossen werden. Die in der Abmahnung mitgeteilte IP Adresse stimmt und liegt in Hannover. Leider hatte der Abmahner Martin Ismail seinen Zugangsprovider nicht abgemahnt, denn dessen Webseiten waren ebenso abmahnfähig. Eine entsprechende Abmahnung von mir wurde anstandslos bezahlt und der DSGVO Verstoß umgehend behoben. Ob Martin Ismail nach dieser Aktion noch ins Internet kommt, wollte mir der Provider allerdings nicht sagen. Martin Ismail, der richtig Samir Martin Ismail heißt, ist bedeutend jünger als Lenard (geb. 30.07.1981) und scheint offenbar das einzige Mitglied seines Interessenverbands Datenschutz zu sein. Mit Datenschutz hält Ismail es aber nicht ganz ganz so genau, wenn es um die Nutzung von facebook geht. Mittlerweile ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges gegen Lenard und Ismail, denn Abmahnungen sollen Misstände beheben aber nicht zum schnellen Geld verhelfen. Geld scheint aber per se Lenards größtes Problem zu sein. Die unter dieser Adresse registrierten Ein-Euro Firmen waren auf ein System ausgelegt, welches im letzten Jahr aufgeflogen war. Hier sollte Cryptogeld mit Funkwellen erzeugt werden. Die Ein-Euro Firmen deuten stark darauf hin, dass es genau um dieses System ging, welches aber Anfang 2022, wenige Monate nach Gründung der Firmen, den Bach runter ging. Ebenfalls finden sich immer wieder Kooperationsvereinbarungen mit anderen Anwälten, die offenbar alle zu keinem Erfolg führten. Für eine Kanzlei, die sich dem Datenschutz verschreibt, findet sich auch überaus wenig informatives im Internet über diese Kanzlei.
Und was wurde aus enef.org?
Das “European Net Economy Forum” (ENEF), dessen Sprecher eben Kilian Lenard war und sich auch öffentlichkeitswirksam als eben solcher verkaufte und Interviews in der Welt oder in der Tagesschau gab, hat es niemals zu einer vernünftigen Webseite gebracht. In den ersten Jahren war gerade einmal eine Visitenkarte auf der Seite zu finden. Im Jahr 2007 änderte sich plötzlich der Inhalt und man fand auf der Seite nun Unterstützung für Energie, Geschäft und Finanzfragen. 2008 wurde die Domain offenbar abgemeldet und von einem Domaingrabber übernommen. Heute steht die Domain enef.org zum Verkauf. Eigentümer ist ein US-Amerikanischer Domaingrabber. Die angeblich 15 Firmen, welche das ENEF gegründet haben wollen, sind heute nicht mehr existent.
Interessengemeinschaft Datenschutz
Wie zuvor schon erwähnt, hat es den Eindruck, als das Ismail das einzige Mitglied der Interessengemeinschaft Datenschutz ist. Die Domain wurde am 01. September 2022 zuletzt geändert bzw. neu registriert. Das passt optimal zum Beginn der Abmahnwelle, denn nur wenige Tage später wurden die ersten 1.000 Abmahnungen versandt. Das es sich um eine Neuregistrierung handelt, kann man aus dem Umstand vermuten, als das archive.org diese Domain überhaupt erst am 29. September 2022 erfasst hat.
Damit ist hinreichend dargelegt, dass die Interessengemeinschaft Datenschutz rein zum Zwecke der Abmahnungen ins Leben gerufen wurde. In der Vergangenheit gab es bereits einmal einen “Interessengemeinschaft Datenschutz e.V.”. Dieser Verein wurde ebenfalls erst kurz der massenhaften Versendung von Abmahnungen gegründet. Hierbei ging es um eine fehlende SSL Verschlüsselung von Webseiten. Auf der Webseite igdatenschutz.de findet sich ein Link mit angeblichen Spenden der Abmahnbeträge. Ismail hatte an verschiedene Empfänger Geld gespendet. Die Empfänger sendeten das Geld jedoch postwendend zurück und erklärten dazu, nicht für das reinwaschen mieser Gaunereien herhalten zu wollen. Nun steht auf der Webseite zu lesen, dass man die Empfänger nicht nennen will aufgrund des Datenschutzes. Vermutlich ist diese Aussage gelogen und es wurde überhaupt kein Geld gespendet.
Ergaunertes Geld
Im Internet finden sich zahlreiche Artikel von Nutzern, die auf die Abmahnung bezahlt haben. Um welche Summen es wirklich geht, wird erst das Ermittlungsverfahren zeigen. Geht man aber davon aus, dass Lenard rund 50.000 Abmahnungen versendet haben könnte und nur jeder zehnte darauf bezahlt hat, denn die Argumentation ist verführerisch, da Abmahnverfahren viel Geld kosten, dann läge der Ertrag bei 5.000 x 170 Euro gleich 850.000 Euro. Die Argumentation bei den Abmahnungen lautet, etwas plump wieder gegeben: Zahle mir 170 Euro und ich vergesse die Sache.
Da die Abmahnung in der Sache jedoch Bestand hat, käme ein reguläres Abmahnverfahren, welches bis vor Gericht geht, für den abgemahnten bei gut 1.000 Euro, statt der angebotenen 170,- Euro.
Die Masche ist vielleicht eigentlich gar nicht schlecht. Man hätte es nur nicht so plump angehen sollen und keinen Anwalt nehmen sollen, der nicht viel Ahnung hat, von dem, was er da tut.
Warum sind die Abmahnungen hinfällig?
Zunächst muss ich hier einen Disclaimer setzen. Es obliegt mir nicht, als Journalist eine Rechtsberatung durch zu führen. Meine Argumente sind rein persönlicher Natur. RA Lenard behauptet, sein Mandant Martin Ismail habe meine Webseite angesurft und dabei festgestellt, ich verstosse gegen die DSGVO. Dazu hat er einige Beweise angeführt. Eine Abmahnung kann aber nur aussprechen, wer abmahnfähig ist. Grundsätzlich würde ich dem zustimmen, jedoch finden sich nach kurzer Google-Recherche hunderte Artikel, Berichte und Foreneinträge von Personen, die ebenfalls abgemahnt wurden. Eine kurze Hochrechnung lässt davon ausgehen, dass so ungefähr um 50.000 Abmahnungen versendet wurden. In der Zeit zwischen Anfang September 2022 und Mitte Oktober 2022, also in rund sechs Wochen. Wenn also nun der Martin Ismail 50.000 Webseiten ansurft und nur eine Minute auf jeder Seite bleibt, so würde er schon 50.000 Minuten oder anders ausgedrückt, rund 35 Tage ununterbrochenes Surfen benötigen. Geht man von einem realistischeren acht-Stunden Tag aus, so bräuchte Ismail über 100 Tage. Will er aber auch noch sich die Seiten ansehen und ausserdem nach Rechtsverstössen durchsuchen, so kann man realistisch davon ausgehen, benötigt ein durchschnittlicher Datenschützer im Minimum zwanzig Minuten, denn es müssen ja auch noch Screenshots angefertigt werden, der Anwalt muss beauftragt werden usw. Damit werden aus den 100 Tagen ganz schnell 1.000 Tage. Verdichtet auf nur sechs Wochen Abmahnzeitraum eine hervorragende Leistung. Man kann also definieren, der Hintergrund der Abmahnung, nämlich dass Ismail sich in seiner Persönlichkeit verletzt fühlt, ist ein unwahrer, vorgeschobener Grund, was zumindest die Abmahnungen des RA Lenard unwirksam werden lässt, zumal hier nun ein klassischer Abmahnbetrug vorliegt. Doch spinnen wir die Sache weiter. Praktischerweise sollte man jede Abmahnung, auf die keine Reaktion erfolgt, juristisch durchfechten. In Berlin finden solche Zivilrechtsprozesse vorwiegend an drei Tagen in der Woche Vormittags statt und dauern etwa mit Vor- und Nachbereitung rund zwei Stunden. Das käme auf eine Prozessdauer von 100.000 Stunden oder rund 68 Prozessjahre. Natürlich könnte das Gericht Fälle zusammenlegen und doch müsste jeder Fall im einzelnen behandelt werden. Doch will ich es nicht so abstrakt darstellen. Für jede Klage muss Ismail mit den Prozesskosten in Vorleistung gehen und das sind rund 150 Euro. Ich bezweifle stark, dass Ismail den Betrag von 7,5 Millionen Euro vorstrecken kann. Und dann kommen noch die Mühlen der Justiz hinzu. Bis es zu ersten Verhandlungen kommt, vergehen gut und gern sechs Monate bis ein Jahr.
RA Lenard auf der Flucht?
Die Domain ra-lenard.de existiert seit dem Jahr 2019. Lediglich die Webseite wurde kurz vor Beginn der Serienabmahnungen mittels WordPress 6.0.2 neu aufgesetzt. Dabei nutzt man den WordPress Service bei 1&1 oder, wie sie nun heißen, IONOS.
Viel interessanter ist die die Domain kilianlenard.net, die erst Kurz vor Beginn der Abmahnungen registriert wurde. Sollte hier eine extra Abmahnseite entstehen? Offenbar wurden meine Recherchen entdeckt, denn nur wenige Stunden, nachdem ich diese Domain besucht habe, wurde sie am Morgen des 17.10.2022 um 9:41 MESZ geändert. Erreichte man zuvor noch die Seite ra-lenard.de über kilianlenard.net, so führt die Domain jetzt ins leere. Alle drei Domains, ra-lenard.de, kilianlenard.net und igdatenschutz.de liegen nah beieinander beim Internetprovider IONOS. Zeit, den Rechtsanwalt selbst zu fragen. Er antwortet leider nicht auf meine Mails, so dass ich ihn versuche, telefonisch zu erreichen. Doch hier läuft nur eine Bandansage, man solle ihn per Mail kontaktieren. Und so ergeht es mir in Hannover, bei der Interessengemeinschaft Datenschutz, genau so. Nur eine Bandansage, hier sei niemand erreichbar.
Und so wird sich bald wieder ein Kapitel von schnellen Abmahnern schließen. Bei der Recherche musste ich doch kurz an den verblichenen Günther Freiherr von Gravenreuth denken, der jahrelang sehr viel Geld mit Abmahnungen wegen Urheberrechtsverstössen verdiente, für ein Produkt, welches überhaupt nicht existierte. Es musste nur erst jemand kommen und das abgemahnte Produkt vor Gericht als Beweisstück anfordern. Das war der Anfang vom Ende einer Legende. Weitere Betrügereien mit Abmahnungen brachten GVG endgültig vor Gericht. Um seinem Haftantritt wegen Betruges zu entgehen, schoss Gravenreuth sich am 22. Februar 2010 im Kneipsaal seiner ehemaligen Studentenverbindung um 3:30 Uhr morgens mit seiner Pistole in den Kopf.
Und was ist dran an der Sache mit Google-Fonts?
Das perfekte an den Abmahnungen ist, und ich muss zugeben, hier bin ich tief beeindruckt, der Vorwurf des DSGVO Verstoßes ist rechtmäßig. Ja, wenn Sie google fonts auf Ihrer Seite eingebunden haben und den Font aus den USA nachladen, ist Ihre Seite abmahnfähig!