Wenn der Spieß umgedreht wird: Jan Böhmermann und die heile Welt des Doxxings

Es ist schon eine besondere Ironie des Schicksals, wenn jemand wie Jan Böhmermann, der sich gerne als unerschrockener Aufklärer und scharfzüngiger Kritiker von allem und jedem inszeniert, plötzlich selbst zum Opfer wird. Und zwar nicht im metaphorischen Sinne, sondern ganz konkret: Seine Privatadresse seiner Mietswohnung in Puhlheim wurde öffentlich gemacht, und prompt war der Aufschrei groß. Nicht nur bei ihm, sondern bis in die höchsten politischen Ebenen. Doxxing! Skandal! Man müsse die Täter finden und hart bestrafen!

Dabei ist das eigentlich die Pointe an der ganzen Geschichte: Doxxing, also das Zusammenpuzzeln öffentlich verfügbarer Informationen zu einem privaten Profil, ist genau das, was Böhmermann und seinesgleichen seit Jahren als investigative Recherche feiern – wenn sie es selbst tun. Wenn es gegen politisch Unliebsame geht, gegen Impfskeptiker, gegen vermeintliche Rechte, gegen jeden, der nicht in das Weltbild der selbsternannten Gatekeeper passt, dann ist es plötzlich kein Problem, private Daten auszugraben und öffentlich zu machen. Dann ist es “Enthüllungsjournalismus”. Dann wird es mit einem Schulterzucken abgetan: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.

Aber wehe, der Spieß wird umgedreht. Wehe, jemand wagt es, die Methoden, die sonst nur gegen die “Falschen” angewendet werden, einmal auf die richtige Seite der moralischen Überlegenheit zu richten. Dann ist auf einmal die Demokratie in Gefahr. Dann wird der Bundesinnenminister informiert. Dann ist es kein investigativer Akt mehr, sondern eine Straftat, die mit aller Härte verfolgt werden muss.

Man könnte fast meinen, es gäbe hier eine Art zweierlei Maß. Fast so, als ob die Empörung über Doxxing nicht vom Prinzip her kommt, sondern davon abhängt, wer betroffen ist. Böhmermann, der selbst nicht zimperlich ist, wenn es darum geht, andere an den Pranger zu stellen, fühlt sich plötzlich unwohl, wenn der Scheinwerfer auf ihn selbst gerichtet wird. Das ist nicht nur heuchlerisch, das ist auch ein Lehrstück darüber, wie Macht funktioniert: Regeln gelten immer für die anderen. Für einen selbst gelten Ausnahmen.

Gleiche Situation, nur vier Jahre später.

Jan Böhmermann hat wieder einmal einen „Nazi“ gefunden. Diesmal ist es kein Impfskeptiker, kein Querdenker, kein AfD-Wähler, sondern ein anonymer Polit-Influencer mit dem Pseudonym „Clownswelt“ – ein Name, der eigentlich eher zur Selbstironie einlädt als zur ideologischen Hetzjagd. Doch für Böhmermann reicht offenbar schon die falsche politische Einstellung, um einen Feldzug zu starten, der an Besessenheit grenzt. Mit welchen Mitteln? Natürlich mit denen, die ihm zur Verfügung stehen: einer ungenannten, aber zweifellos beträchtlichen Summe aus GEZ-Gebühren und einem Sendungsbewusstsein, das jede Grenze zwischen investigativem Journalismus und persönlicher Vendetta verwischt.

Was hier abläuft, ist kein Beitrag zur Demokratie, sondern ein Lehrstück in medialer Schlammschlacht. Da wird eine Stimmanalyse in Auftrag gegeben, als ginge es um die Enttarnung eines Terroristen. Da werden Videos und Fotos seziert, als stünde die nationale Sicherheit auf dem Spiel. Da werden mutmaßliche Bekannte und Familienmitglieder des Influencers „überfallartig“ verhört – nicht weil eine Straftat vorliegt, sondern weil jemand es gewagt hat, anonym eine Meinung zu äußern, die Böhmermann nicht passt.

Und die Rechtfertigung? Die ist so simpel wie erschreckend: Wer eine Meinung veröffentlicht, hat keine Privatsphäre mehr verdient. Punkt. Böhmermann brüllt es fast schon triumphierend in die Kamera: Er habe die Regeln nicht gemacht. Nein, natürlich nicht. Er nutzt sie nur – gnadenlos, einseitig, mit der Arroganz eines selbsternannten Richters, der sich längst für unangreifbar hält.

Doch was hier wirklich zutage tritt, ist eine perverse Doppelmoral. Privatsphäre, Persönlichkeitsrechte, der Schutz vor staatlicher und medialer Willkür – all das gilt offenbar nur für die, die „richtig“ denken. Wer abweicht, wer zweifelt, wer es wagt, abseits des mainstreamkonformen Meinungskorridors zu stehen, der hat gefälligst damit zu rechnen, dass sein Leben bis ins Privateste zerpflückt wird. Und wer bestimmt, was „richtiges“ und was „falsches“ Denken ist? Na, diejenigen, die sich selbst für unfehlbar halten.

Es ist ein gefährliches Spiel, das Böhmermann da treibt. Nicht weil „Clownswelt“ ein Unschuldslamm wäre – wer weiß das schon? –, sondern weil hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Wenn Böhmermann selbst zum Opfer von Doxxing wird, ist das ein Skandal. Wenn er es bei anderen betreibt, ist es „Aufklärung“. Wenn er selbst Witze über Religionen, Politiker oder ganze Bevölkerungsgruppen macht, ist das Satire. Wenn andere ihre Meinung sagen, ist es Hetze.

Am Ende bleibt die Frage: Wann wird ihm das alles um die Ohren fliegen? Wann merken auch seine Unterstützer, dass sie hier einem Mann applaudieren, der längst selbst zu dem geworden ist, was er immer bekämpft haben will: ein moralisierender Bully, der meint, im Namen des Guten jede Grenze überschreiten zu dürfen. Die GEZ-Gebührenzahler dürften sich jedenfalls fragen, ob sie dafür eigentlich zahlen – für eine Hetzjagd im Namen der vermeintlich richtigen Gesinnung.

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Von Dolma Tsering

Name: Dolma Tsering Alter: 28 Jahre Geburtsort: Lhasa, Tibet Biografie: Dolma wurde am 15. Februar 1997 in Lhasa, der kulturellen Hauptstadt Tibets, geboren. Schon in ihrer Kindheit entwickelte sie eine Leidenschaft für Geschichtenerzählen und Ausdrucksformen der Kunst. Tsering verbrachte viel Zeit damit, die alten Legenden und Geschichten ihrer Kultur zu erkunden, was sie dazu inspirierte, Journalistin zu werden. Ausbildung: Nach ihrem Abschluss an einer tibetischen Schule setzte Tsering ihre Ausbildung in Lhasa fort und studierte Journalismus und Kommunikationswissenschaften. Während ihres Studiums wurde ihr bewusst, wie wichtig es ist, die tibetische Stimme in der Weltöffentlichkeit zu vertreten. Sie engagierte sich aktiv in studentischen Medien und berichtete über soziale Themen, die für ihr Volk von Bedeutung waren. Flucht und Engagement: Im Jahr 2017 wurde die Situation in Tibet zunehmend repressiv. Tserings kritische Berichte über die Menschenrechtslage führten dazu, dass sie von den chinesischen Behörden verfolgt wurde. Um ihrer Familie und sich selbst zu schützen, flüchtete sie über die Himalaya-Berge nach Nepal. In Kathmandu angekommen, stand Tsering vor neuen Herausforderungen. Trotz der Unsicherheit und der Belastungen des Flüchtlingslebens nutzte sie ihre journalistischen Fähigkeiten, um die Geschichten ihrer Landsleute zu dokumentieren. Aktuelle Tätigkeit: Heute arbeitet Tsering als freie Journalistin und Aktivistin. Sie setzt sich für die tibetische Gemeinschaft ein und berichtet über die Entwicklungen in der Region. In ihrem Blog gibt sie Einblicke in das Leben tibetischer Flüchtlinge, die Herausforderungen der Diaspora und die Hoffnung auf eine Zukunft in einem freien Tibet. Ziele und Visionen: Tserings Traum ist es, eine Plattform für tibetische Stimmen zu schaffen, die in der globalen Medienlandschaft oft übersehen werden. Sie möchte eine Bewegung initiieren, die junge tibetische Journalisten unterstützt und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Geschichten zu erzählen. Hobbys: Neben ihrer journalistischen Arbeit liebt Tsering es, zu fotografieren und die Natur Tibets in all ihrer Schönheit festzuhalten. Sie engagiert sich auch in der Gemeinschaft, indem sie Workshops zur Medienbildung für junge Flüchtlinge anbietet.

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