Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen hat nach einer kurzen Phase relativer Ruhe erneut an Intensität gewonnen. Seit Beginn der neuen Offensive am vergangenen Dienstag sind nach Angaben palästinensischer Behörden mindestens 400 Menschen, überwiegend Zivilisten, bei Luftangriffen ums Leben gekommen. Die Gesamtzahl der Todesopfer seit Beginn des Konflikts vor fast 18 Monaten liegt nun bei über 50.000, darunter überwiegend Zivilisten. Die humanitäre Lage im Gazastreifen verschlechtert sich rapide, da Israel die Blockade des Gebiets fortsetzt und die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern unterbricht.

Hunger und Mangelversorgung breiten sich aus

Mediziner und Hilfsorganisationen warnen vor einer sich ausbreitenden Mangelernährung im Gazastreifen. Die völlige Abriegelung des Gebiets durch Israel hat dazu geführt, dass Lebensmittel, Medikamente und Treibstoff knapp werden. Sechs von 23 von dem UN-Welternährungsprogramm betriebenen Bäckereien mussten bereits schließen, da kein Kochgas mehr verfügbar ist. Die UNRWA, die wichtigste UN-Organisation für die palästinensische Bevölkerung, verfügt nur noch über Vorräte für sechs Tage. Die Preise für Lebensmittel sind explodiert: Ein Kilogramm Kartoffeln kostet mittlerweile umgerechnet 6 US-Dollar, das Fünffache des Preises vor einem Monat.

„Es ist deutlich sichtbar, dass die Menschen untergewichtig sind. Die Bevölkerung ist sehr jung, und Kinder brauchen nahrhaftes Essen“, sagte Khamis Elessi, ein leitender Arzt in Gaza-Stadt. Feroze Sidhwa, ein US-amerikanischer Notarzt, der derzeit in Gaza im Einsatz ist, berichtet von den Folgen der langen Mangelversorgung: „Jeder hat deutlich an Gewicht verloren. Selbst chirurgische Wunden heilen schlecht.“

Evakuierungsbefehle und Angriffe auf Zivilisten

Die israelische Armee hat neue Evakuierungsbefehle für Gebiete westlich der Stadt Rafah herausgegeben, wo bereits vor einem Jahr eine große Offensive stattfand. Die Anweisungen verbieten die Fortbewegung mit Fahrzeugen, was die ohnehin schwierige Lage für die Zivilbevölkerung weiter verschärft. In den letzten Tagen gab es mehrere Berichte über Angriffe auf Fahrzeuge, bei denen Zivilisten getötet oder schwer verletzt wurden. „Sie befinden sich in einer gefährlichen Kampfzone. Entfernen Sie sich sofort“, heißt es in den Anordnungen der israelischen Streitkräfte.

Am Sonntag wurden bei Luftangriffen auf Khan Younis mindestens 19 Palästinenser getötet, darunter mehrere Frauen und Kinder. Unter den Opfern war auch Salah Bardawil, ein Mitglied des politischen Führungsgremiums der Hamas. Die israelische Armee gab bekannt, dass Truppen das Flüchtlingslager Tal al-Sultan in Rafah umzingelt hätten, um „terroristische Infrastruktur zu zerstören und militante Kämpfer zu eliminieren“.

Internationaler Haftbefehl gegen Netanjahu

Aufgrund der eskalierenden Gewalt hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) bereits im November 2024 einen internationalen Haftbefehl gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erlassen. Netanjahu wird vorgeworfen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen begangen zu haben. Der Schritt des IStGH hat international für Kontroversen gesorgt und die Debatte über die Legitimität von Israels Militäraktionen neu entfacht.

Der wohl künftige deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz hatte am Wahlabend angekündigt, Netanjahu nach Deutschland einladen zu wollen. Merz betonte, er habe Netanjahu „Mittel und Wege“ in Aussicht gestellt, „dass er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist“. Diese Äußerungen haben in Deutschland und international gemischte Reaktionen hervorgerufen, da sie die Frage aufwerfen, wie die internationale Gemeinschaft mit dem Haftbefehl umgehen wird.

Innere Unruhen in Israel

In Israel selbst wächst der Unmut über die Regierung Netanjahu. Mehr als 100.000 Menschen demonstrierten in den letzten Tagen gegen die Pläne des Premierministers, den Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, und die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara zu entlassen. Bar hatte enge Vertraute Netanjahus wegen mutmaßlicher Sicherheitsverstöße untersucht, während Baharav-Miara wiederholt mit der Regierung aneinandergeriet. Am Sonntag stimmte das Kabinett einstimmig für ein Misstrauensvotum gegen Baharav-Miara, was von Oppositionsparteien und Tausenden von Demonstranten scharf kritisiert wurde.

Forderungen nach einer Rückkehr der Geiseln

Während die Offensive gegen die Hamas fortgesetzt wird, mehren sich die Stimmen, die eine Rückkehr der israelischen Geiseln fordern. Am Freitag unterzeichneten 40 ehemalige Geiseln und 250 Familienangehörige von Soldaten und Zivilisten, die noch in Gaza festgehalten werden, einen Brief, in dem sie Netanjahu auffordern, den „endlosen Krieg“ zu beenden. In der ersten Phase des Waffenstillstandsabkommens wurden 25 israelische Geiseln und die Leichen von acht weiteren im Austausch gegen hunderte palästinensische Gefangene freigelassen. Israel hatte sich damals in eine Pufferzone zurückgezogen, was Hunderttausenden die Rückkehr in ihre zerstörten Häuser ermöglichte.

Die zweite Phase des Abkommens, die eine Freilassung der verbleibenden 59 Geiseln und ein Ende der Feindseligkeiten vorsah, wurde von Israel abgelehnt. Stattdessen bot die Regierung an, die erste Phase zu verlängern, wenn Hamas weitere Geiseln freilässt.

Ausblick

Die Situation im Gazastreifen bleibt äußerst angespannt. Die humanitäre Krise verschärft sich täglich, während die militärischen Aktionen weitergehen. Der internationale Druck auf Israel wächst, insbesondere durch den Haftbefehl des IStGH gegen Netanjahu. Gleichzeitig stehen die israelische Regierung und die internationale Gemeinschaft vor der Herausforderung, eine Lösung zu finden, die sowohl die Sicherheit Israels gewährleistet als auch das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen lindert. Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, ob es gelingt, eine nachhaltige Friedenslösung zu erreichen oder ob der Konflikt weiter eskalieren wird.

Illustration: Klaus Baumdick

Avatar-Foto

Von Amira Al-Masri

Amira Al-Masri, 35, ist eine syrische Journalistin und Autorin, die 2015 vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland floh. In Damaskus studierte sie Literaturwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin, bevor der Konflikt sie zur Flucht zwang. In Deutschland angekommen, setzte sie ihre Leidenschaft für das Schreiben fort und engagiert sich heute für eine differenzierte Berichterstattung über Migration, Integration und gesellschaftliche Themen. Bei nonfake.news schreibt Amira über ihre Erfahrungen als Geflüchtete, die Herausforderungen des Neuanfangs und die Bedeutung von Dialog und Verständigung in einer polarisierten Welt. Mit ihrem einzigartigen Blick zwischen zwei Kulturen möchte sie Brücken bauen und Vorurteile abbauen. Ihre Texte sind geprägt von Empathie, Klarheit und dem festen Glauben an die Kraft der Worte. Amira lebt in Berlin, wo sie neben ihrer Arbeit als Bloggerin auch Workshops für interkulturelle Kommunikation anbietet. In ihrer Freizeit liest sie leidenschaftlich gern, erkundet die deutsche Hauptstadt und kocht traditionelle syrische Gerichte für Freunde und Familie.