Die deutsche Wirtschaft steckt in einer anhaltenden Stagnation, die sich nach Einschätzung der Bundesbank in den kommenden Monaten sogar verschärfen könnte. Nach einem überraschenden Wachstumsschub von 0,4 Prozent im ersten Quartal 2025 rechnen die Währungshüter nun mit einer deutlichen Flaute in den Sommermonaten. Besondere Sorge bereitet den Experten die angedrohte Erhöhung der US-Einfuhrzölle auf europäische Produkte, die nach Einschätzung der Bundesbank ein „beachtliches konjunkturelles Abwärtsrisiko“ darstellen.
US-Zölle als Damoklesschwert
US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, die Einfuhrzölle auf EU-Waren ab dem 1. August von bisher 10 auf 30 Prozent anzuheben. Für die exportabhängige deutsche Wirtschaft wäre dies ein schwerer Schlag. Die USA sind mit einem Anteil von rund 10 Prozent der wichtigste Absatzmarkt deutscher Produkte außerhalb Europas. Besonders betroffen wären die Automobilbranche (bereits jetzt mit 25 Prozent belastet) sowie die Stahl- und Aluminiumindustrie (50 Prozent).
„Die aktuelle Zollunsicherheit hemmt Investitionen und Planungen“, warnt Bundesbank-Präsident Joachim Nagel im Gespräch mit dem Handelsblatt. Zwar plädiert er für eine zügige Einigung mit den USA, betont aber gleichzeitig: „Nicht um jeden Preis.“ Diese Haltung teilt auch Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD): „Unsere Hand bleibt ausgestreckt, aber wir werden nicht alles mitmachen.“
Vorzieheffekte lassen nach
Das moderate Wachstum zu Jahresbeginn führt die Bundesbank maßgeblich auf Sondereffekte zurück. Viele Unternehmen hätten Lieferungen in die USA vorgezogen, um sich vor den erwarteten Zollerhöhungen zu schützen. Diese temporäre Konjunkturspritze sei nun jedoch weitgehend ausgelaufen. Gleichzeitig bleibe die industrielle Auslastung schwach, die Bauwirtschaft stecke in der Krise, und die Verbraucher gäben angesichts hoher Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit nur zögerlich Geld aus.
Ein Lichtblick bleibt der Arbeitsmarkt, der sich bisher erstaunlich robust zeigt. Doch selbst hier mehren sich die Anzeichen für eine Eintrübung, wie jüngste Daten der Bundesagentur für Arbeit nahelegen.
Düstere Prognosen für 2025
Bereits im Juni hatte die Bundesbank für das kommende Jahr eine Stagnation der deutschen Wirtschaft prognostiziert – und dies noch unter der Annahme eines unveränderten Zollsatzes von 10 Prozent. Sollten die USA ihre Drohungen wahr machen, dürfte sich die Lage weiter verschärfen. Sollte sich diese Prognose bewahrheiten, würde die deutsche Wirtschaft 2025 das dritte Jahr in Folge ohne nennenswertes Wachstum verzeichnen – ein historisch beispielloser Tiefstand in der Geschichte der Bundesrepublik.
EU ringt um Lösungen
Auf europäischer Ebene laufen derzeit intensive Bemühungen, eine Eskalation des Zollstreits zu verhindern. EU-Chefverhandler Maros Sefcovic reiste dieser Tage zu Gesprächen mit dem Team des US-Präsidenten nach Washington. Die EU-Kommission hält milliardenschwere Gegenzölle auf US-Produkte vorerst zurück, um den Verhandlungsspielraum nicht unnötig einzuengen.
Erste vorsichtige Hoffnungsschimmer gab es zuletzt von Donald Trump selbst, der von Fortschritten in den Gesprächen sprach. Doch ob dies mehr ist als taktisches Geplänkel, bleibt abzuwarten.
Geteilte Einschätzungen unter Experten
Während die Bundesbank die potenziellen Auswirkungen der US-Zölle als gravierend einschätzt, fällt die Bewertung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) deutlich moderater aus. Zwar würden höhere Zölle die deutsche Konjunkturerholung belasten, so IMK-Direktor Sebastian Dullien, aber nicht vollständig ersticken.
Das IMK korrigierte seine Wachstumsprognose für 2025 von bisher 0,2 Prozent auf nunmehr Stagnation und für 2026 von 1,5 auf 1,2 Prozent nach unten – deutlich weniger dramatisch als manche Befürchtungen.
Maschinenbau zeigt sich widerstandsfähig
Eine überraschend resiliente Haltung demonstriert der deutsche Maschinenbau. Laut einer Umfrage des Branchenverbands VDMA unter 936 Unternehmen bewertet fast ein Drittel (31 Prozent) die Absatzchancen in den USA weiterhin als gut oder sehr gut. Nur ein Viertel berichtet von spürbaren Einbrüchen.
Damit bleibt der US-Markt für die Branche – neben dem Nahen und Mittleren Osten – einer der wenigen Lichtblicke im ansonsten düsteren globalen Konjunkturpanorama. Zum Vergleich: Für den Heimatmarkt Deutschland und das China-Geschäft überwiegen bei den Maschinenbauern die pessimistischen Einschätzungen.
Langfristige strukturelle Herausforderungen
Unabhängig von den unmittelbaren Zollfolgen steht die deutsche Wirtschaft vor tieferliegenden strukturellen Problemen: die Energiewende, der demografische Wandel, die Digitalisierung und nicht zuletzt die notwendige Neuausrichtung der Exportstrategie in einer sich wandelnden globalen Ordnung.
Die Bundesregierung setzt hier auf milliardenschwere Zukunftsinvestitionen in Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und grüne Mobilität. Doch wie die Bundesbank in ihrem Bericht betont, werden diese Investitionen erst mit erheblicher Verzögerung konjunkturelle Impulse setzen können.
Ausblick: Warten auf den Durchbruch
Die kommenden Wochen werden entscheidend sein. Sollte es der EU nicht gelingen, die angedrohten US-Zölle abzuwenden oder zumindest abzumildern, droht der deutschen Wirtschaft eine weitere Belastungsprobe. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen, dass die strukturellen Reformbemühungen der Bundesregierung erst langsam Wirkung zeigen.
Für Unternehmen und Verbraucher bedeutet dies: Die Phase der wirtschaftlichen Unsicherheit wird voraussichtlich noch länger andauern. Die Hoffnung auf eine baldige, kräftige Erholung scheint sich zunehmend zu verflüchtigen – es sei denn, es gelingt auf internationaler Ebene noch ein entscheidender Durchbruch.